LGA Architektur der Zukunft, Lichtenfels

Architektur der Zukunft, Lichtenfels

Peter Budig

EIN LICHTHELLER MÖGLICHKEITSRAUM FÜR BESUCHER UND LICHTENFELSER

Was bedeutet „Archiv der Zukunft“? Eine Verwahrstelle für Vergangenes schaut radikal nach vorn? „Dies ist Architektur, die nicht funktional begründet wird. Dennoch ist es ein Angebot für Besucher und gerade die Lichtenfelser“, so ordnet der Geschäftsführer des „ Archivs der Zukunft“ Stefan Mehl das Bauwerk ein. Kürzlich haben die Inhaber, die Brüder Hofmann, hier ihre Büros (R+G Hofmann) im Obergeschoss bezogen. Im Parterre befindet sich ein Raum für Ausstellungen, Konzerte und mehr. Doch das sich zum Marktplatz hin öffnende Gebäude will vor allem ein kommunikatives Architekturstatement liefern. Am 21. September wurde die erste Ausstellung, die digitale Schau „Zukunft der Arbeit“ eröffnet. „Viele Menschen haben Angst vor der Zukunft, dies soll einen Gegenentwurf darstellen“, erläutert Mehl – und gibt damit auch eine Zielrichtung für das „Archiv der Zukunft“ vor.

Finanziert haben das visionäre Projekt die Unternehmerbrüder Günter und Robert Hofmann, die jahrzehntelang im Werkzeug- und Maschinenbau als innovative Erfinder Legenden schrieben. Seit 2017 setzen sie ihre Kraft in neugegründeten Zukunftswerkstätten ein.

ARCHITEKT PETER HAIMERL BESITZT EINE LIEBE FÜR DIE REVITALISIERUNG HISTORISCHER ORTE

„Ich bin überzeugt, dass die gesellschaftliche Wirkung von Architektur noch viel mehr genutzt werden sollte, um den Lebensraum von Menschen aufzuwerten“, sagt der Architekt Peter Haimerl, der eigens zur Ausstellungseröffnung gekommen war. „Seine sensiblen Sanierungen von Gebäuden und die Revitalisierungen von verlassenen Ortskernen auf dem Land haben international für Aufsehen gesorgt“, so charakterisiert ihn die Chefredakteurin der Architekturzeitschrift „Detail“, Sandra Hofmeister. Doch das verfallende Gebäude am Lichtenfelser Marktplatz war „von der Bausubstanz her nicht mehr zu retten“. So entstand das Konzept für das „Archiv der Zukunft“. Haimerl ist Mitglied in der Sektion Baukunst der Berliner Akademie der Künste und lehrt momentan als Professor an der Universität für künstlerische Gestaltung Linz.

„Beim Archiv der Zukunft geht es uns darum, immer wieder spannende Projekte zu finden, die real und virtuell umgesetzt werden, damit wir uns mit Orten und Menschen auf der ganzen Welt vernetzen können.“ Stefan Mehl, Archiv der Zukunft Lichtenfels, Geschäftsführer der R+G Asset Management GmbH & Co KG

DER ARCHITEKT

ARCHITEKT PETER HAIMERL KONZENTRIERT SICH AUF PROJEKTE, DIE DIE GRENZEN KONVENTIONELLER ARCHITEKTUR ÜBERSCHREITEN. ER VERFOLGT DABEI GANZHEITLICHE KONZEPTE, DIE VERSCHIEDENSTE EXPERTINNEN EINBINDEN UND ARCHITEKTUR MIT BEREICHEN DER SOZIOLOGIE, KUNST, POLITIK UND DER DIGITALEN WELT FUSIONIEREN LASSEN.

FEINE ABSTIMMUNGEN ZWISCHEN KUNST UND NORM

In Lichtenfels – 20.000-Einwohner-Kreisstadt in Oberfranken – wird Architekturgeschichte geschrieben. Das ist gut belegt, denn u.a. Gerhard Matzig, Architekturexperte im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, hat eine Hymne verfasst: „Das neue ‚Archiv der Zukunft‘ in Lichtenfels verstößt gegen fast alles, was zu den Architektur-Korrektheiten der Gegenwart gehört. … Und das ist auch gut so“, schreibt er. „Der Bau polarisiert. Wie so oft, denn Architektur ist die öffentlichste unter den Künsten. Das macht sie so spannend und auch so diskutabel. Gute Architektur hält das aus.“ Gute Architektur – damit ist ein zweigeschossiger Glas-Stahlbau mit einer vorgelagerten Skulptur, einer aus Stahlruten gefertigten Weide, knapp beschrieben. Die Weidenskulptur symbolisiert die Geschichte Lichtenfels als Korbflechter-Stadt mit großer Handwerksvergangenheit.

SCHWIERIGES GLEICHGEWICHT ZWISCHEN ÄSTHETIK UND STATISCHEN ANFORDERUNGEN

Die Wirkung dieses Glas-Stahlbaus mit der vorgelagerten Weidenskulptur ist das eine, die Umsetzung nach den Bauvorschriften ein ganz anderes Thema. Haimerl diskutiert das nicht weg. „Hier ist ein besonderes Gleichgewicht zwischen Ästhetik und Statik gegeben“, sagt er lächelnd. Fünf Jahre Planungszeit, viele Diskussionen, schwierige Entscheidungen hat das Bauwerk verursacht, bevor am 15. Juli 2023 die Eröffnung gefeiert wurde. Denn für den Statiker ergeben sich die offenen Fragen dort, wo ein Betrachter mit der Zunge schnalzt: „Die Windlasten sind an diesem Projekt nun mal nicht Norm, was auch mit den Schwingungen der Stahlruten zu tun hat“, so Dr. Marcus Achenbach, stellvertretender Prüfamtsleiter der LGA in Hof. „Um dem künstlerischen Anspruch in die Wirklichkeit zu verhelfen, musste viel und lange über das technisch Machbare diskutiert werden“, erinnert sich der erfahrene Ingenieur. „In so einem Fall ist viel Abstimmungsarbeit nötig und die Grenzen des Machbaren dürfen ein wenig verschoben werden.“

KOMPLIZIERTE WEIDENSKULPTUR UND EIN „TRAGENDES“ KELLERGEWÖLBE

Hier war enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit gefragt, und in Undine Fuchs, die seit 2003 das „Ingenieurbüro Fuchs“ in Lichtenfels betreibt (seit 2006 mit ihrem Mann Christian), wurde die passende Statikerin gefunden. Beim Ortstermin nimmt sie sich viel Zeit, Besonderheiten zu erläutern: „Die Weidenskulptur hat uns viele komplizierte Aufgaben beschert. Zunächst waren drei Stämme angedacht und viel mehr Äste und Zweige, als am Ende verwirklicht wurden. Jene tiefreichenden Äste, die im Betonsockel verschwinden, tragen keine Lasten ab. Die ruhen ganz in den Stämmen“, so Fuchs. Doch damit längst nicht genug: „Es waren tiefgreifende Schwingungsuntersuchungen nötig“, um das Verhalten der Skulptur bei Wind oder gar Sturm zu beurteilen. An dieser Stelle hat Undine Fuchs einen weiteren Experten hinzugezogen, Prof. Dr. Guido Morgenthal von der Bauhaus- Universität Weimar. Mit seiner Hilfe wurden die letzten Sicherheitsbedenken ausgeräumt, das Verhalten des Objektes bei Wind, die Kräfte im Stab neu berechnet. Die lastentragenden Stämme sind nur 40 Zentimeter in den Betonsockel gefügt, doch sie ruhen auf Stahlteilen, die in eine Stahlplatte eingefügt sind.

Ein anderes kniffliges Thema war der Gewölbekeller. Hier kam die Expertise von Christian Fuchs zum Tragen: Der historische Keller wurde Stein für Stein nummeriert, zurückgebaut und gelagert. In die Grube wurden Bohrpfähle eingebaut. Stählerne Rohre gruben sich in den Raum, in den die Stahlbetonbewehrung eingebracht und die mit Beton ausgegossen wurden. Verblieben sind die rohen Betonpfeiler mit Abdrücken der Maserung des Erdreiches, die für den unbedarften Beobachter etwas von griechischen Säulen haben. Im Kellergewölbe des „ Archivs der Zukunft“ befinden sich u. a. ein Medienraum mit Besucherplätzen, Sanitärräume, technische Material- und Vorratsräume und ein kleiner Gewölbekeller, der mit dem original Steinbestand wieder aufgebaut wurde. Und auch hier findet sich wieder das ästhetische Empfinden des gesamten Teams, das dieses besondere Gebäude auszeichnet.

Als realisierender Architekt, mit eigenem Büro seit 1991, konzentriert sich Peter Haimerl auf Projekte, die die Grenzen konventioneller Architektur überschreiten. Sein Anspruch ist, mit jedem Projekt faszinierende, unkonventionelle Lösungen zu gestalten und Innovationen zu entwickeln. www.peterhaimerl.com

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